„Land Energie – Die ganze Welt in einem Bild“

von Brigitte Herpich M. A.

Harry Meyers Ölgemälde aus dem Zyklus „Land Energie“ stehen dem klassischen „Kosmos“-Begriff sehr nahe: Alle vier Elemente – das feurige Licht der Blitze, das Wasser des Gewitterregens, der tosende Sturm und die seiner Wucht ausgesetzte Erde – vereinigen sich zu Werken von großer Ausstrahlungskraft. Herausragende Bedeutung eignet hierbei dem Licht: Es ist schön an sich; und mit den Strahlen seines Glanzes, den es verschwendet und der dennoch unerschöpflich ist, vermehrt es diese Schönheit in der Sichtbarmachung aller Dinge – es geleitet, nach der Auffassung des Aristoteles, das bloß Mögliche zur Wirklichkeit. Licht-Energie in reinster Form ist gebündelt im Blitz: folgt der nach Sinn suchende Mensch dem Vorbild der Erde in ihrer Hingabe, so trifft ihn die Erleuchtung wie der Einschlag des Blitzgewitters das geduldige Land.

 

Vom Himmel, der Erde und den Elementen

Für meinen Freund Harry

von Konrad Oberländer

»Bei mir ist Engelsüß und roter Fingerhut bei mir!«
Und will ihn über die Kastanien tragen –
dann halt, dann halt ich ihn nicht hier...
Erst jenseits der Kastanien ist die Welt.

Paul Celan, »Drüben«

Harry, mein Freund, ist Maler und er hat eine Verbindung zum Himmel, deren besondere Art hier nicht beschrieben sein soll. Das weiß man aber. Das kommt daher, daß er einen Großvater hatte, der aus der Bukowina kam, und der bekanntlich auch diese besondere Befähigung hatte, sich mit dem Himmel in Verbindung zu setzen, was man sich am besten so vorstellt, daß ihm eine Art Drähte zur Verfügung standen, die wir mal mit Telefondrähten vergleichen wollen, die aber eher Telepathiedrähte waren, denn sie waren ja nicht sichtbar. Und die reichten bis in den Himmel, jedenfalls so weit nach oben, daß er über sie Nachrichten empfangen konnte, die es ihm ermöglichten, vergangene oder auch zukünftige Geschehnisse zu sehen, die anderen ganz und gar verborgen waren. Über diese sprach er gelegentlich und er benutzte sie gelegentlich sogar zu Heilungen, die allen Nichteingeweihten unerklärlich bleiben mußten, weil sie ja nichts von den Quellen seines geheimen Wissens wußten. Von diesem besagten Großvater nun ist die Befähigung zu bestimmten Ahnungen, ja besonderen Gewißheiten, die bekanntlich den meisten abgehen, auf meinen Freund Harry überkommen, und so ist es ihm möglich, den Himmel und die Erde zu malen und sie mit seinem Pinsel in oft so heftige Schwingungen zu versetzen, daß auch uns, die wir die Bilder betrachten, in Anbetracht dieser gewaltigen Anstrengung, eine Ahnung von dem Geheimnis anmutet, das in ihnen unter gewaltig viel Farbe verborgen ist. Wir sehen und verstehen plötzlich die starken Energien in seinen Bildern, daß wir meinen sie deuten zu können und dann auch wieder nicht, und es bleibt uns wieder nur die Ahnung einer Vorstellung, die er, Harry der Maler, vielleicht davon hatte, als er die Wolken malte, wie einen zu einem Knäuel gewickelten Drachen, der bereits die fünf Störche verschlungen hat, die gerade noch an dem Fluß, der unbedingt dahinter fließen muß, nach Fröschen suchten. Und es waren gewiß fünf Störche, was heute nur ganz selten noch zu sehen ist, nur im Badischen kann man es sich eigentlich noch vorstellen. ­­

Mindestens fünf Störche, der genannte Fluß oder ein See und noch ganz andere Geheimnisse und überraschende Vorkommen sind verborgen hinter dem Schwarz und dem Blau und dem Grau und dem Gräulich zum Weiß. Und es ist alles in Finsternis gefangen und man weiß sofort, wenn man so ein von Harry gemaltes Bild sieht, wie ganz fürchterlich die Elemente wüten können, wenn Sturm, Wasser, Geister und Dunkelheit sich verbünden, um uns Menschen zu erschrecken. Dann aber zischt es plötzlich und faucht das Licht, das gelb über weiß einfällt, und Rot zerbirst, wenn die Sonne hinter den Regenstämmen über die Welt rollt und die Sträucher, die Stämme und alles Land entflammt hinter dem insektenbeinigen Wolkendrachen, und alle sehen, wie er durchschüttelt wird und schon flieht vor dem geborstenen Licht, und es ist sicher, daß auch die Störche wieder kommen und bucklige Hügel dahinter hocken werden und daß auch die Bäume sich wieder grün färben, mit einem Hauch von Licht auf dem Laubwerk. Und sie werden wieder Stämme haben wie vorher der Regen, und das Wasser eines Sees oder Flusses wird sich sanft kräuseln. Dann werden mein Freund Harry und ich uns einen Rastplatz suchen am Rand einer Wiese und die Störche betrachten, zu denen Harry in seinem Bild, das er dann malt, einen sechsten hinzufügen wird.