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reflexionen #3

inspirationen

Über Masken


Maske

Abbildung: Gesichtsmaske aus meiner kleinen Sammlung von Masken.

Die erste Vermutung von mir war natürlich Grebo, wegen der Augengestaltung. Den „Enten“schnabel konnte ich allerdings nicht einordnen.

Erst nach längeren Recherchen ist es mir gelungen, die Maske zu bestimmen. Es handelt sich um eine sogenannte Familienmaske aus dem Dorf Tabou in Westafrika.

Diese wurde tatsächlich nur in einem eng umgrenzten Gebiet von zwei kleinen Dörfern hergestellt und ist dadurch recht selten, da verständlicherweise nicht viele Exemplare benötigt wurden.

Sie stammt aus dem Nachlass der Privatsammlung eines Museumsmannes aus Bremen und wurde Anfang der sechziger Jahre auf einer seiner Expeditionen direkt vor Ort von ihm erworben. Die Ausstrahlung des Originals spricht meiner Meinung nach dafür, dass sie noch im Kult verwendet wurde.

Die tatsächliche Verwendung dieses Stückes bleibt im Dunkel – wobei ich schon glücklich darüber war, überhaupt klären zu können, woher es stammt. Der Informant, der aus einer Familie mit langer Tradition von schwarzafrikanischen Händlern stammt, konnte zwar die Herkunft bestimmen, aber der exakte Verwendungszweck war auch ihm nicht bekannt. Er kannte diese Art von Maske nur deshalb, weil sein Vater ein einziges Mal in seiner langjährigen Tätigkeit ein vergleichbares Exemplar in Händen hielt. Er konnte diese vor Ort in Tabou erwerben, und mit einiger Verzögerung dann ans Musée du Quai Branly in Paris vermitteln. Ihm war die Seltenheit dieser Form von Maske bewusst, so dass er auf das Angebot eines Museums warten wollte.

Der Entenschnabel dient meines Erachtens dazu, die Stimme zu verfremden; was man in einem praktischen Versuch ganz einfach wahrnehmen kann. Ein ähnlicher Effekt lässt sich bei manchen der Masken des Kifwebe Bundes beobachten. Dort hat die röhrenartige Mundöffnung zusätzlich eine Art „Schnecke“ eingeschnitzt, so dass die Stimme weiters verzerrt wird – je nachdem, mit welcher Stimmlage man spricht oder gar ruft. Eine dieser höchst kunstvoll geschnitzten „archimedischen Schrauben“ befindet sich im Mundfortsatz einer meiner Kifwebe Masken des Volkes der Songye (auch Bassonge genannt).

Die röhrenförmig ausgebildeten Augen dienen meiner Meinung nach einem ähnlichen Zweck. Sie verbergen die Augenfarbe und erzwingen eine Art von Fokussierung auf den betrachteten Gegenstand. Dieser Fokus wird selbstverständlich auch vom Zuschauer des Rituals wahrgenommen. Auch hier ist wieder eine Entsprechung zu den dicken Augenwülsten der Kifwebe Masken und der damit einhergehenden Verschattung der Augen des Maskierten zu finden.

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Malerei Harry Meyer

Insgesamt hat diese Maske eine gewaltige Ausstrahlung und sendet eine geheimnisvolle Aura aus. In diesem Fall hat das Objekt kein unfreundliches oder gar unheimliches Charisma, sondern stellt eher eine ambivalente Figur dar, die – möglicherweise – auf gegensätzlichen Seiten in der Ausführung des Ritus eine Rolle spielen kann. Da mir die Verwendung in kultischen Handlungen sicher scheint, ist die erfolgte „Aufladung“ in diesem Stück besonders intensiv. Erstaunlicherweise verlieren sich diese Arten der Aufladung nicht mehr. Das kann man auch bei christlichen Figuren spüren. Wenn diese lange im „Gebrauch“ waren, sind sie ebenfalls mit einer starken auratischen Patina behaftet. Dieses geheimnisvolle Phänomen kann man selbst noch in den Kunstwerken der alten Ägypter wahrnehmen. Ich habe diesen Effekt immer wieder hautnah erlebt, da ich doch einige dialogische Ausstellungen mit christlichen Plastiken und Skulpturen durchgeführt habe („en face“ im Museum St. Afra in Augsburg; „Im Dialog“ im Diözesanmuseum Eichstätt; sowie eine Ausstellung in der Städtischen Galerie in der Badstube in Wangen mit dem sinnreichen Titel „600 Jahre oberschwäbische Plastik im Dialog mit Harry Meyer" von der Romanik bis zum Barock – die historischen Stücke stammten aus verschiedenen Sammlungen, zum Beispiel dem Museum Biberach und der Kunstsammlung des Zweckverbands Oberschwäbische Elektrizitätswerke OEW in Ravensburg).

Als Maske gilt im Übrigen das gesamte „Kostüm“ inklusive Kleid, Kopfbedeckung, rituellen oder wirklichen Waffen, Schuhen, Bemalungen usw. Die Gesichtsmaske ist der zentrale, wichtigste Teil davon. Der Maskierte verändert seine Stimme, und seine Bewegungsabläufe sind modifiziert. In diesem spirituellen Zustand spielt er keine Rolle, vielmehr lebt er diese. In manchen Verkleidungen werden „nur“ Unterhaltungen geboten – genauso wichtig jedoch ist ihre religiöse oder soziale Bedeutung.

Durch die Maskierung verändert sich die Grenze zwischen Illusion und Realität. Aus Menschen werden Geister, Götter oder Zeremonienmeister, mit den ihnen zugeschriebenen Kompetenzen. Die Entstehung dieser „Masken“ kommt aus den Tiefen der menschlichen Geschichte. Das Bedürfnis, zu einem übergeordneten Wesen zu mutieren, war wohl schon immer ein Bedürfnis des Homo, ist also Teil der Conditio Humana. Grundlegende Aspekte dieser wurden z. B. von der Philosophin Hannah Arendt intensiv in ihrem Buch „Vita Activa“ befragt. Der streitbare französische Philosoph und Semiotiker Roland Barthes widerspricht derlei Grundbedingungen des Menschseins und bezeichnet diese als missverstandenen Mythos, gar als ein Märchen.

Malerei Harry Meyer
maske, Sammlung Meyer

Bei der sogenannten „afrikanischen Kunst“ handelt es sich hauptsächlich um nicht-materielle, oder zumindest um komplex materielle, kulturelle Ausdrucksformen oder Kunstwerke von animistischen Vorstellungen über die Welt, denen unser westliches Verständnis nur schwer beikommt. Eine rein ästhetische Betrachtung, die weit verbreitet ist, wäre hier sicher falsch. Die exotische Aura mit ihrer abstrahierenden Formensprache verleitet natürlich dazu. Diese Aura war es auch, welche die Künstler der klassischen Moderne inspirierte. In den Sammlungen von Picasso, André Breton, Brâncuși usw. waren verblüffend viele Objekte der alten Animisten aus Afrika vertreten.

Begriffe wie Primitivismus, „art nègre“ oder gar die berüchtigte Bezeichnung „Negerplastik“ von Carl Einstein lassen sich auf diese wunderbaren Produkte einer Jahrtausende alten, hoch differenzierten Kultur nicht anwenden. Sicher ist, dass eine „kulturneutrale“ Betrachtung für diese Artefakte nicht möglich ist. Wir können uns nur ihrer jeweiligen Ausstrahlung überlassen und versuchen, eine „Inspiration“ daraus zu gewinnen.

Wichtige Zentren der traditionellen Stammes-Kunst sind in Mali der Stamm der Dogon und Banama, in Burkina Faso die Bobo und Mossi, in Gabun die Fang, Kota und Kwele, und in der Demokratischen Republik Kongo (das frühere Zaire) die Luba, Songye, Lega und Kuba. Hinzu kommen die Chokwe aus Angola sowie die Senufo, Dan und Baule in der Elfenbeinküste.

Insbesondere die Objekte der alten Nok Kultur (ca. 500 v. Chr.) in Nigeria, oder auch die sogenannten Benin-Bronzen, üben einen besonderen Reiz auf Geist und Auge aus. Diese Bronzen gelten als Raubgut aus einer hauptsächlich britischen Strafexpedition von 1897.

Das alte Königreich in Benin, das seine Blütezeit vom fünfzehnten bis zum achtzehnten Jahrhundert erlebte, ist durch seine Messinggüsse und durch die jetzt kontrovers diskutierten Eigentumsverhältnisse an den Benin-Bronzen in deutschem Museumsbesitz im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Die Werke aus dem Palast des ehemaligen Königreichs Benin sollen im Berliner Humboldt-Forum ausgestellt werden. Die Hauptleihgeber sind das Linden-Museum in Stuttgart, das Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln, sowie die Völkerkundemuseen in Dresden und Leipzig. Wichtige Stücke finden sich auch im Ethnologischen Museum in Berlin.

Malerei Harry Meyer
maske, Sammlung Meyer

Wie die meisten erfolgreichen Staaten war auch das Königreich Benin ein – man würde heute sagen – Raubtierstaat schlimmster Prägung. Viele Jahrhunderte plünderte es sämtliche Nachbarn, war Geschäftspartner der Portugiesen beim frühen Sklavenhandel und opferte in grausamen Ritualen Verurteilte und Kriegsgefangene.

In seinem 1968 erschienenen Roman „Das Gebot der Gewalt“ berichtet uns Yambo Ouologuem (1940-2017) aus achthundert Jahren afrikanischer Geschichte: der Geschichte der Gewalt, der schwarzen Magie und des Krieges des fiktiven Reiches Nakem. Er wurde dafür als erster Afrikaner mit dem Prix Renaudot ausgezeichnet. Weitere Schriften von ihm sind u. a. „Lettre à la France nègre“ und „Les mille et une bibles du sexe“. Leider wurden diese nie übersetzt, so dass es mir mangels Sprachkenntnis nicht möglich ist, sie ebenfalls zu lesen.

 

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